Extravaganza!

Sparen und Reduzieren gilt als Tugend. Doch in der Welt der Vielfalt kommt man damit nicht weiter. Warum wir zu guten Verschwendern werden sollten.

 

Text Wolf Lotter  Fotos Adolf Bereuter  Foto Art Direktion Eva Engel  Foto- und Textredaktion agenturengel  Published kultuhr 42, 2013

 

Es ist eines der 100 bedeutendsten Werke der Weltliteratur: Scott Fitzgeralds „The Great Gatsby“ aus dem Jahr 1925. In diesem Jahr kam die mittlerweile fünfte Verfilmung des Stoffes ins Kino, mit Leonardo DiCaprio in der Hauptrolle. Keine Inszenierung ist bisher so überschwänglich, prachtvoll, bunt ausgefallen. Man taucht ein in die Goldenen Zwanzigerjahre und wird Augenzeuge der gewaltigen Partys, die Gatsby in seinem Schloss auf Long Island schmeisst. Ganz New York ist dabei. Was das wohl kostet?!

Das „Great“ vor Gatsby bedeutet nicht „gross“, wie uns die deutschen Übersetzungen suggerieren, sondern grossartig. Gatsby haut auf den Putz. Ist das schlecht? Seine Gäste würden das anders sehen. Die Lieferanten von Champagner, Kaviar, die Musiker und Tänzer, die zu den Parties engagiert werden, auch. Ebenso die Hersteller von Luxusartikeln und natürlich sein Personal und letztlich auch das Finanzamt, das kräftig mitverdient.

Aber wissen wir nicht, wie all das endet? Gatsby wird erschossen, und bald werden die Goldenen Zwanzigerjahre in der Weltwirtschaftskrise enden.

Ist das die „gerechte Strafe“? Natürlich nicht. Das ist abergläubischer Unsinn. Luxus und Verschwendung sind nicht nur ein Merkmal des Grossen Gatsby, sondern gehören zum Menschen dazu. Erstens: Verschwendung ist nicht Vergeudung. Letztere besteht darin, dass wir Ressourcen oder Mittel aller Art in eine bereits als falsch oder veraltet erkannte Sache stecken. In zu viel Bürokratie beispielsweise, die zum Selbstzweck wird. Verschwendung hingegen bedeutet, dass man die Vielfalt und Komplexität erschliesst und so möglichst viel aus der Welt herausholt. Geiz ist nämlich gar nicht geil. Und Sparen ist keine Lösung, erst recht nicht in Zeiten der Krise. Ein Unternehmen spart nicht, es investiert. Gute Verschwendung folgt genau dieser Idee: Sie besteht nicht darin, dass man einfach das Geld oder sein Talent zum Fenster rausschmeisst, sondern möglichst viel draus macht. Ein verschwenderischer Umgang mit Können und Kreativität ist immer schon ein Merkmal aller Luxusprodukte gewesen.

Sparen ist ein Begriff aus der Knappheitsökonomie – ein Begriff von gestern. Es stimmt, dass die längste Zeit in der Geschichte Knappheit herrschte. Der Mangel war normal. Aber war das etwa erstrebenswert? Und war es nicht immer so, dass die, die nichts hatten, etwas erstrebten? Zu leicht machen wir es uns heute mit einer satten Konsumkritik, wenn wir einfach auf hohem Niveau den Konsum als solchen schlechtmachen. Er hat für mehr Menschen Gerechtigkeit hergestellt als viele politische Theorien. Und dass das Wort Überflussgesellschaft einen schlechten Klang hat, daran sind wir selber schuld. Nicht das grosse Angebot ist schlecht, sondern unsere noch immer nicht sehr ausgeprägte Fähigkeit, uns für das zu entscheiden, was am besten zu uns passt. Die Verschwendung und der Überfluss fordern uns heraus, genau das herauszufinden: Denn kaum jemand wird lieber in die Alternative des Mangels und der Armut zurückgehen wollen.

Was müssen wir tun? Unsere Werte überprüfen. Sind diese im Einklang mit dem, was wir können und wollen? Sind wir bereit, uns der hohen Komplexität zu stellen – und nicht einfach ängstlich nach Reduktion, nach Sparprogrammen, nach Zusammenstreichen zu rufen – wie das leider immer noch üblich ist? Sind wir bereit für eine bessere Welt? Oder wollen wir lieber sparen, egal was es kostet?

Der Kapitalismus entsteht im 13. Jahrhundert in den Zentren Oberitaliens und Südfrankreichs, wo Luxusmanufakturen für die wohlhabenderen Bürger entstehen. In der Renaissance werden bereits ungeheure Summen für Luxus verschwendet, und diese Zeit gilt zurecht als Neubeginn nach einem finsteren und notgedrungen recht sparsamen Mittelalter. Im Barock, dem Inbegriff des Üppigen, werden allein für den Bau von Klöstern in Bayern mehr Mittel ausgegeben als für die gesamte deutsch-deutsche Wiedervereinigung seit 1989. Und was ist nachhaltig, wenn nicht Rom, Florenz, Paris, London, St. Petersburg und Wien. Hätten Controller und Sparwütige den Petersdom gebaut? Das Louvre?

Übrigens: Die Ureinwohner Amerikas, die auch auf Long Island lebten, wo Gatsby später feierte, haben ein Fest namens Potlach gefeiert: Dabei wurden Gäste mit Geschenken überhäuft, Verschwendung, weil es gut ist, dem anderen Gutes zu tun. Und die Natur ist eine äusserst grosszügige und keineswegs sparsame Mutter. Millionen Kirschblüten schweben durch die Lüfte und ergeben am Ende doch nur einige neue Bäume. Verschwenderisch zu sein bedeutet immer auch zu experimentieren und zu versuchen. Das ist die Kraft, die hinter allem Neuen steckt. Das ist und bleibt – grossartig.

 

Wolf Lotter: Von nichts kommt nichts.

Wolf Lotter © Sarah Ester Paulus 2013Wolf Lotter © Sarah Ester Paulus 2013

Sparen, streichen, geizen – davon reden heute alle. Das ist eine Sackgasse, sagt der Wirtschaftsjournalist Wolf Lotter. Mehr Wohl­stand, Fortschritt und Glück ist nicht das Pro­dukt von Knapsen und Knausern, sondern war in der Geschichte schon immer die Folge verschwenderischen Handelns.

Wolf Lotter, Jahrgang 1962, ist Wirtschafts­journalist und Autor. Seine Wirtschaftsessays erscheinen als „Einleitungen“ zu den Schwerpunktthemen des Wirtschaftsmaga­zins brand eins, das Lotter 1999 mitbegrün­det hat. Der „scharfüngigste Wirtschafts­essayist Deutschlands“ („Der Journalist“) ist auch ein gefragter Referent und Kommenta­tor für zahlreiche Rundfunkanstalten, Zeitun­gen und Zeitschriften.

2006 erschien sein Buch «Verschwen­dung – Wirtschaft braucht Überfluss» im Carl Hanser Verlag München. Darin wendet sich Lotter gegen den Zeitgeist des Sparens und der „Geiz ist Geil“-Mentalität und plädiert stattdessen für eine Ökonomie der Grosszü­gigkeit, die als Alternative zum angeschlage­nen Industriekapitalismus unserer Tage wir­ken soll. Wolf Lotter analysiert für uns die Bedeutung von Luxusprodukten. Und all jenen, denen das nicht reicht, empfehlen wir seine eben neu erschienene Streitschrift „Zivilkapitalismus. Wir können auch anders“ (Pantheon/Random House).

 

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