Kunst für alle. Alles für die Kunst.

Interview mit Kurator Dr. Uwe Wieczorek.

Er kommt aus der Metropolregion Rhein-Main, fühlt sich aber schon lange im beschaulichen Rheintal wie zuhause. Kunsthistoriker Dr. Uwe Wieczorek begleitet seit zehn Jahren als Kurator die Hilti Art Foundation, eine bedeutende liechtensteinische Privatsammlung.

 

Text Eva Engel Foto Darko Todorovic

 

Herr Dr. Wieczorek, die Hilti Art Foundation wird ab Frühjahr 2015 mit ihren Sammlungen im Weissen Würfel im Zentrum von Vaduz ein neues Zuhause beziehen. Werden die Sammlungen damit öffentlich zugänglich gemacht? Ja, im Weissen Würfel werden die Sammlungen der Hilti Art Foundation künftig dauerhaft der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, allerdings nur ausschnittweise, denn für den Gesamtbestand an Kunstwerken wäre auf einer Ausstellungsfläche von insgesamt 430m² nicht genügend Platz.

 

Welche Intention verfolgt die Hilti Art Foundation mit dem neuen Sitz im Weissen Würfel?

Unsere Intention dahinter ist ganz einfach: Wir möchten, und dies im besten Bürgersinne, die Öffentlichkeit teilhaben lassen an einem Kulturgut von hohem Rang. Die Sammlungen sind zwar privater Initiative und Leidenschaft zu verdanken, bedürfen aber doch der öffentlichen Wahrnehmung, um ihren Sinn und ihren Wert als Kulturgut entfalten zu können. Und das soll an dem Ort geschehen, wo die Sammlungen und ihre Sammler, d.h. der Martin-Hilti-Familien-Trust und die Mitglieder der Familie Hilti, ihren Existenzmittelpunkt haben – in Liechtenstein.

 

Was wird im Weissen Würfel zu sehen sein?

Vorrangig werden Malerei und Plastik der Klassischen Moderne zu sehen sein, etwa Werke von Gauguin, Seurat, Lehmbruck, Boccioni, Picasso, Gris, Leger, Kirchner, Marc, Magritte, Klee, Beckmann, Hodler, Giacometti, Dubuffet, Wols u.a., zugleich aber auch Werke der Zeit nach 1950 bis zur Gegenwart, etwa von Albers, Fontana, Klein, Manzoni, Schoonhoven, Colombo, Uecker, Fruhtrunk, Knoebel oder Scully.

 

Werden es wechselnde Ausstellungen sein oder doch eine permanente Schau?

Wir möchten mit der Sammlung ein wenig spielen, und zwar in Form wechselnder Präsentationen. Das ist für uns selbst wie auch für die Besucher viel interessanter als statische Dauerausstellungen. Die Unterteilung des Weissen Würfel in drei Etagen ermöglicht eine abwechslungsreiche Differenzierung der Ausstellungen einerseits nach Stilen, Gattungen oder Themen, andererseits nach Kunstwerken aus unseren Sammlungen im Dialog mit Leihgaben aus anderen Sammlungen. Auch sind Ausstellungen mit einem einzelnen oder mehreren Künstlern denkbar. Dabei wird jedoch die Klassische Moderne stets das «Standbein», die Kunst nach 1950 und Sonderausstellungen das «Spielbein» unseres Ausstellungsprogramms bilden.

 

Wie viele Kunstwerke umfassen die Sammlungen der Hilti Art Foundation und wie viele davon werden in den Ausstellungen zu sehen sein?

Die Sammlungen umfassen heute etwa 200 Werke von musealem Rang, doch gehen wir nur von 50 bis 60 Exponaten pro Ausstellung aus, und zwar nach der Devise: Klein, aber fein! Vorgesehen ist dabei ein ungefähr halbjähriger Ausstellungsturnus.

 

Auf welcher Epoche liegt der Schwerpunkt der Sammlungen? Wie gestalten sich die Sammlungen?

Den Schwerpunkt der Sammlungen bildet, wenn auch nicht im quantitativen Sinne, die Epoche der Klassischen Moderne, also die Zeit von ca. 1880 bis 1945/50. Es ist die Epoche von den Begründern der Klassischen Moderne wie etwa Paul Gauguin, Georges Seurat oder Auguste Rodin bis hin zu jener Künstlergeneration, die auf die Umwälzungen und katastrophalen Verwerfungen des 20. Jahrhunderts mit existenziellen Fragestellungen reagiert. Zu ihnen gehören beispielsweise Wols, Jean Dubuffet oder Alberto Giacometti. Dazwischen sind vor allem Künstler des Expressionismus, des Kubismus und des Surrealismus mit charakteristischen Werken in den Sammlungen vertreten.

 

Gibt es auch Interesse an zeitgenössischer Kunst?

Nach 1950 bilden avangardistische Tendenzen wie z. B. «Zero» oder die «Konkrete Kunst» wichtige Schwerpunkte, und durch Werke von Künstlern wie Gerhard Richter, Imi Knoebel, Sean Scully, Helmut Federle u.a. sind auch wichtige Positionen der Gegenwartskunst vertreten.

 

Welche langfristigen Ziele verfolgt die Hilti Art Foundation?

Ziel der Hilti Art Foundation ist es, die Sammlungen innerhalb dieser Zeitspanne von gut 130 Jahren Kunstgeschichte durch den Erwerb von wichtigen Werken zu vergrössern, zu verdichten und damit auf Dauer in der internationalen Museumslandschaft zu etablieren.

 

Sie sind seit 2003 als Kurator der Hilti Art Foundation tätig und halten zudem Vorlesungen zur Kunstgeschichte an der Uni St. Gallen. Wie muss man sich den Alltag eines Kurators vorstellen?

Als Kurator gibt es zunächst einmal reichlich Routinearbeit zu bewältigen: tägliche Korrespondenz sowie organisatorische Aufgaben in Verbindung mit Leihverkehr, also mit Museen, Versicherungen und Transportunternehmen. Es fallen Kurierreisen an, d.h. die Begleitung von Leihgaben zu internationalen Ausstellungsorten. Des Weiteren stehe ich in Verhandlungen mit Galerien und Auktionshäusern. Die Beobachtung des Kunstmarktes im Hinblick auf Neuerwerbungen und die damit verbundene Recherche, die in der Regel sehr zeitaufwendig ist, spielt eine wichtige Rolle, ebenso die Teilnahme an Auktionen und der Besuch von Messen. Es gibt eine kontinuierliche Absprache und Verständigung nach innen mit den Mitgliedern der Familie Hilti, den Beiräten und unserem Restaurator. Ganz nebenbei bemüht man sich, durch das Lesen von Fachliteratur und Fachzeitschriften sowie durch den Besuch von Ausstellungen und Künstlerateliers inhaltlich auf dem Laufenden zu bleiben. Auch das Schreiben eigener Texte, z. B. für Ausstellungskataloge, nimmt einen Grossteil der Arbeit in Anspruch. Als Höhepunkt meiner kuratorischen Tätigkeit aber empfinde ich immer wieder den Erwerb neuer Kunstwerke sowie die Vorbereitung und Realisierung von Ausstellungen und die damit in Zusammenhang stehende Öffentlichkeitsarbeit, also etwa Führungen, aber auch Vorträge und Vorlesungen.

 

Wächst einem eine solche Sammlung ans Herz?

Ja, das lässt sich gar nicht vermeiden. Man investiert ja nicht nur Arbeit in Form von Zeit und Energie in sie, sondern immer auch Gedanken und Gefühle. Man befragt die Wirkung und Bedeutung eines Kunstwerkes in Bezug auf die eigene Person, und diese Befragung hat immer eine existenzielle Qualität, ohne die ich mir kuratorische Arbeit, ja sogar mein Leben als Privatperson nicht vorstellen kann.

 

Gibt es speziell für junge Menschen einen Zugang zu den Sammlungen?

Ich habe es immer als eine meiner Aufgaben begriffen, dies auch jungen Menschen zu vermitteln. Der Weisse Würfel wird dafür künftig einen schönen und dauerhaften Ort bilden.

 

Der Standort des Weissen Würfel als direkter Nachbar des über die Landesgrenzen hinaus bekannten Kunstmuseums Liechtenstein ist ein Glücksfall. Wie werden diese beiden Häuser in Zukunft miteinander kooperieren?

Dank dieser Nachbarschaft wird die fruchtbare und nun schon seit anderthalb Jahrzehnten gepflegte Zusammenarbeit mit dem Kunstmuseum nicht nur fortgesetzt, sondern auch intensiviert. Wir werden einen gemeinsamen Eingang und Kasse sowie einen gemeinsamen Auftritt nach aussen haben. Beide Sammlungen haben zwar unterschiedliche Schwerpunkte, die sich aber gerade deshalb hervorragend ergänzen und gegenseitig stärken werden. Das ist in der Tat einGlücksfall, von dem das Land Liechtenstein und die gesamte Region Rheintal kulturell profitieren werden.

 

Wir danken für das Gespräch.

 

Dr. Uwe Wieczorek

Dr. Uwe Wieczorek (1953) studierte Kunstgeschichte, klassische Archäologie und Buchwesen in Mainz und Florenz. Nach seiner Zeit an den Staatlichen Museen zu Berlin wechselte er als Direktor der Sammlungen des Fürsten von Liechtenstein 1992 nach Vaduz. Seit dem 1.4.2003 betreut er als Kurator die Sammlungen der Hilti Art Foundation und hält zudem Vorlesungen zur Kunstgeschichte an der Universität St. Gallen.

 

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