Das Kleeblatt auf Kurs Lacustre – volle Segel voraus

Es gibt viele edle Segelyachten. Aber der Lacustre ist etwas Besonderes, eine Klasse für sich. Fast 80 Jahre alt, rank, superschlank und mit großer Segelfläche. Auf dem Bodensee kreuzen die vermeintlichen Oldtimer, die längst keine mehr sind.

 

Text Oliver Zelt  Foto Tobias Störkl, Archiv Rutishauser, Archiv Henri Copponex, Jürgen Kaufmann, Claudia Somm  Foto- und Textredaktion agenturengel  Published nobleSee 06, 2016

 

Markus Bilgeri blickt stets mit Stolz auf sein Schiff. Der 50-Jährige hat es selbst gebaut. 3000 Stunden hat er gesägt, gezimmert, geleimt und geschliffen. Schließlich, damit das Holzboot funkelt und glänzt, Deck und Unterschiff penibel poliert. Es dauerte fast dreieinhalb Jahre, bis der Österreicher seinen Lacustre (gesprochen Lacüster) mit leuch-tenden Augen taufen konnte. Seitdem steuert Markus Bilgeri mit der Pinne seinen Eigenbau unter dem Namen „Tesoro Mio“.

 

Schweizer Meisterschaft der Lacustre 2015 © Tobias Störkle

Schweizer Meisterschaft der Lacustre 2015 © Tobias Störkle

 

Auf goldenem Kurs

Im Juli wurde Bilgeri mit seiner Crew auf dem Bodensee Internationaler Schweizer Meister 2015, der wichtigste Titel aller Lacustre-Regatten. Bei weit über 30 Grad und meistens Flaute schlug Bilgeri die Konkurrenz.

Die „Tesoro Mio“ scheint überhaupt ein Erfolgsschiff zu sein. Schon bei der Jungfernregatta, dem Lindauer Pokal im Juni vor zwei Jahren, fuhr Bilgeri bei beiden Wettfahrten als Sieger über die Ziel-linie, um hinterher doch leicht untertrieben festzustellen, „für das erste Mal ist das Schiff nicht schlecht gelaufen“. Der Trimm, die Einstellung der Segel, hätte gepasst.

Internationale Schweizer Meisterschaft, Bodenseemeisterschaft und Lindauer Pokalregatta sind nur drei von mehr als 20 Wettrennen, bei denen sich die Gemeinde der „Lacustre“-Segler jährlich misst. Es ist eine eingeschworene Truppe, die mächtig stolz auf ihre Segelboote ist und deren elegante Schiffe im Hafen und auf dem Wasser stets bewundert werden.

Markus Bilgeri, der begeisterte Regattasegler, weiß: „Auch die älteren Boote haben, wie wir bei der Bodenseemeisterschaft gesehen haben, eine Chance.“ Die Lacustre-Klasse ist 77 Jahre alt und immer noch eine Klasse für sich. „Es kommt auf das seglerische Können an, nicht auf das beste Material“, freut sich Bilgeri. Segeln sei Teamarbeit, „perfekte Manöver sind genauso wichtig wie gutes Steuern“.

 

 

Der erste Lacustre

Das mögen in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts die Herren am Genfer See nicht anders gesehen haben. Doch die Könner waren auch Kenner. Es galt damals als schick, schnittige Schärenkreuzer aus Skandinavien zu segeln.

Eigentlich etwas zu groß für einen Binnensee. An der ersten „Bol d’Or“ am 22. Juli 1939, einer Regatta mit nur einer Wendemarke, an der alle Bootsklassen teilnehmen durften, segelte ein völlig neues Schiff mit: Der Lacustre, entworfen von Henri Copponex, einem Mann, der vom Genfer See stammt und den Auftrag eines Arztes erfüllte. Der Mediziner wollte an dieser neuen Wettfahrt teilnehmen und unbedingt den Wanderpokal „Goldene Schüssel“ holen. Mit einem neuen Schiff.

Copponex baute eine Yacht, ähnlich wie die graziösen Vorbilder aus dem hohen Norden, nur ein wenig kleiner und noch schneidiger. Der Rumpf war extrem schmal, nur 1,81 Meter breit und wie ein Pfeil schlank und lang. Die 9,50 Meter wirkten durch das extrem langgezogene, fili-grane Heck sogar noch länger. Das Großsegel war nicht gerade breit, die Genua dafür umso riesiger und zog sich weit bis nach achtern.

 

Mit Präzision ins Ziel

Henri Copponex, der in Zürich Mathematik studierte, hatte sich das Schiffbauen selbst beigebracht und mit der Lacustre ein Superdesign entworfen. Er war ein Perfektionist. Zuerst ermittelte er mit Hilfe einer einfachen Rechenmaschine unendliche Zahlenreihen, aus denen er dann die Form der Schiffe ableitete. Seine Zeichnungen zeigen die kleinsten und feinsten Details, selbst die Maserung der Planken.

Copponex war kein Theoretiker am Reißbrett. Schon als junger Mann heuerten ihn Bootseigner als Skipper an. Dass er ein exzellenter Segler war, bewies der Schweizer bei den Olympischen Spielen 1960 in Rom. Mit 53 Jahren gewann er dort auf einem von ihm selbst konstruierten 5,5er die Bronzemedaille.

Der Olympionike hat bis heute ein Rätsel hinterlassen. Was bedeutet das dreiblättrige Kleeblatt als Klassenzeichen? Niemand weiß es, selbst seine Tochter Francoise nicht. Es bleibt ein Geheimnis und hat trotzdem Glück gebracht.

 

Heute im Gestern

Schon alt und dennoch kein Oldtimer – der Lacustre ist modern wie nie. In der Klassenvereinigung, so etwas wie das Familienoberhaupt aller Lacustres, gibt es ein Motto: „Das Gute bewahren, ohne sich Neuem zu verschließen.“

Stephan Frank aus Friedrichshafen, ebenfalls Lacustre-Eigner, sagt: „Es ist eine funktionierende Klassenvereinigung, die dafür sorgt, dass der Lacustre up to date ist, aber nicht zu modern wird.“

Wahrscheinlich erkennen selbst Segler nicht auf Anhieb den Unterschied zwischen alten Booten aus Mahagoni-Rumpf und Teakdeck und neueren aus Kunststoff, die unbedingt holzverkleidet sind.

„Die ursprünglichen Holzmasten sind seit langem von der Zeit überholt“, so Frank, „also gab es Alumasten. Aber die Boote mit Alumasten haben von der Materialstärke und vom Gewicht des Mastes keinen Vorteil gegenüber Holzmasten.“ Denn nicht jeder möchte auf seinem edlen Holzschiff einen Alumast. „Auch die Kunststoffschalen sind schwerer gemacht, als sie sein könnten, wegen der Holzboote.“ Stephan Frank freut sich über diese Regeln. „So schaffen wir stets ein großes Regattafeld.“

 

 

Der Lacustre zieht seine Bahnen

Stephan Frank hat seinen Lacustre im Duett mit einem Bootsbauer vom Bodensee gezimmert. „Ich wollte einen haben und er wollte unbedingt einen bauen. Das passte gut.“ Und warum gerade Lacus-tre? Frank lacht. „Die Yacht ist ein perfektes Boot. Sie läuft schon bei einer halben Windstärke, und wir haben am Bodensee oft wenig Wind.“ Aber auch wenn es mal ordentlich kachelt und die Wanten von den Böen zittern, muss der Lacustre nicht im Hafen bleiben. „Er ist sturmtauglich, wenn rechtzeitig die Genua weggenommen wird. Wenn nur die Fock drauf ist, kann ihnen nichts passieren“, weiß Frank, „selbst wenn man Ein-Hand segelt.“

Dazu kann Markus Bilgeri nur heftig nicken. „Es ist ein sensibles Boot. Die relativ große Segelfläche gibt Druck im Rigg.“ Es hört sich komisch an, aber „die größte Herausforderung ist, gerade zu segeln. Weil es ein Langkieler ist, der träge reagiert.“

Und: „Es sind die erfahrenen Haudegen, die bei den Meisterschaften stets weit vorne sind.“

Im Genfersee geboren, ist der Bodensee heute Hotspot der Lacustre-Klasse. Viele der Regatten finden hier statt. Stephan Frank fühlt sich jedes Mal zu Hause. „Es gibt keine Landeszeichen wie SUI, AUT oder GER auf den Segeln. Wir sind eine Familie, die den Lacustre eingemeindet hat.“ Der Deutsche Stephan Frank segelte bei den Internationalen Schweizer Meisterschaften 2013 auf einem Boot aus Österreich mit einem Schweizer Vorschotmann.

 

Preis und Prestige

Die Eleganz der Yacht hat ihren Preis. Für einen Mahagoni-Neubau müssen Enthusiasten einen sechsstelligen Eurobetrag hinblättern. „So viel Geld für so wenig Boot bezahlt man sonst nirgends“, bewies der ehemalige Präsident der Lacustre-Vereinigung Hans Bodmer eine lockere Portion Ironie. Das kann aber für den Nachwuchs ein Problem sein. Deshalb bemüht sich die Klassenvereinigung um die Jüngeren. Der Jugendförderverein Bodensee bietet auf seinen Lacustres Ferienkurse an und will so die Heranwachsenden für die rasanten Schiffe begeistern. Gute, gebrauchte Boote sind bereits ab 40.000 Euro zu haben.

 

Faire Regatten und legere Törns

„Der Lacustre ist nicht nur eine flotte Rennyacht, sondern auch ein Familienboot. Manche geben es von Generation zu Generation weiter. Da steckt gewaltiges Engagement und Herzblut drin. Manchmal ist das Schiff wichtiger als die Familie. Dann hassen die Söhne die Kiste oder sie führen die Tradition fort“, weiß Stephan Frank.

Die Kajüte ist zwar keine Suite, eher spartanisch, aber dennoch eine Schlafstatt für weniger Anspruchsvolle. Markus Bilgeri war mit seinem Schiff im letzten Jahr vierzehn Tage im Urlaub. „Das war Leben auf engsten Raum, aber keine Drängelei. Wir hatten alle zusammen Spaß und wir hatten Kocher und Kühlschrank mit“.

Die Lacustre-Anhänger sind nicht nur Regattafanatiker, sondern lässige Freizeit-segler. Bei der traditionellen „Far Niente“, ähnlich einem Familienausflug, gondeln die Boote von Hafen zu Hafen. „Ich kenne keine entspanntere Art, Urlaub zu machen“, sagt Stephan Frank. „In jedem Hafen gibt es ein Einlaufbier für die Erwachsenen und Limonade für die Kinder.“ Ein Kleeblatt für so viel Glück.

 

 

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