Panta Rhei – Alles fließt Rheinregulierung
Könnte der Rhein die Geschichten der Menschen aufschreiben, die seit Urzeiten mit ihm leben, wäre das eine Bibliothek unvorstellbaren Ausmaßes: über Glück und Unglück, Flößer und Kapitäne, Goldsucher, Schwemmholzsammler, Müller und Fischer, von Bauern, die ihre Ernte untergehen sahen, von Liebsten, die der Fluss verschlang, von Politikern, Dammbauern, Lokführern, Künstlern, Vermessern und Biologen, von Pontonieren, Ausflüglern und dem Jahrhundertbauwerk Rheinregulierung. Der Verein Rhein-Schauen macht diese Geschichten in einem Museum und einer historischen Bahn sichtbar, angreifbar, erlebbar, weil das enge Zusammenleben mit dem Fluss nicht selbstverständlich ist.
Text Marlene Mendel Fotos Michael Häfner, Archiv Museum Rhein-Schauen, Fotoklub Hard, Matthias Rhomberg, Markus Grabher Foto- und Textredaktion agenturengel Published nobleSee 09, 2019
Die Zeiten, in denen sich im Werkhof Lustenau ein kleiner Bähnle-Verein traf, sind vorbei. An die sechzehntausend Besucher kommen jährlich, um sich zu informieren und ihre Freizeit hier zu verbringen. Das operative Kernteam besteht neben dem Geschäftsführer Markus Dietrich aus drei Personen, während sich viele Ehrenamtliche vor allem um den Bahnbetrieb kümmern. Der Außenbereich wurde neu gestaltet und lädt zum Sitzen ein – bei kleinen Speisen, Kuchen und Kaffee oder einem Glas Wein schwingt man sich ein, lässt den Blick über die weite Kiesfläche und das großzügige Areal schweifen und fragt sich, was sich in den einzelnen Gebäuden befindet.
Neben der Einfahrt erhebt sich ein Beton-Kubus mit glatter Oberfläche, auf der die neunzig Kilometer des Flusslaufs dargestellt sind – kein Museum moderner Kunst, sondern ein Zweckbau des Landesflussbauhofs mit fünf Toren, einem Hallenkran, voll mit Geräten für die täglichen Arbeiten am Rhein und den Notfall: 20.000 gefüllte Sandsäcke, leere Sandsäcke, Sandsackabfüllmaschinen, Bretter, Absperrungen, Tafeln, Schaufeln und Schwimmwesten. Eintritt nur für Mitarbeiter. Wenden wir uns also der 2017 neu gestalteten Halle 1 zu, in der es um die Geschichte des Alpenrheins geht. Kein Hochglanzmuseum soll sie sein, sondern die Geschichte der Rheinregulierung erzählen. Sechs internationale Museumsgestalter reichten Vorschläge ein. Eine Jury entschied sich einstimmig für Alain Rappaport aus Zürich – als Architekt, Ausstellungsdesigner und Künstler entwarf er auch Bühnenbilder für das Burgtheater Wien und die Schauspielhäuser in Zürich, Frankfurt und Köln. Zweimal wurde er mit dem eidgenössischen Preis für Design ausgezeichnet. Mit ihm will der Verein den Weg weitergehen, denn die Halle kommt bei Förderern und Besuchern sehr gut an. Irgendwann soll sich der rote Faden durch alle Gebäude ziehen.
Aus einem Guss
In der Halle duftet es nach frischem Holz. Blutrot leuchten die Wände und die Decke. Die Farbe signalisiert die Gefahr, die vom Rhein ausgeht, aber auch die Zuneigung der Menschen zu ihrem Fluss. Die Ausstellungswände, die die Exponate tragen, bestehen aus Holzlatten, ausgerichtet wie Schupfwuhren, und sollen an Schwemmholz erinnern, sind aber aus Bregenzerwälder Weißtanne. Man blickt durch die Löcher zwischen den Latten, entdeckt mit jedem Schritt Neues und ist interessiert daran, weiterzugehen.
Gemälde von Louis Bleuler (1792–1850) nehmen einen mit auf eine romantische Reise entlang des Rheins. Stimmungsvoll mäandert er durchs Tal, ein verästelter Strom mit vielen Inseln. Regelmäßige Überschwemmungen veränderten den Flusslauf und bedrohten die Kulturlandschaft. An der breitesten Stelle maß er bis zu 600 Meter, während er heute nur mehr maximal 250 Meter breit ist. Fotografien und kolorierte Kupferstiche zeigen Lastschiffe, ein flussaufwärts fahrendes Handelsschiff, gezogen von einem Pferdegespann auf einem Treidelpfad.
Eine Hauptverkehrsachse für Personen und Güter wie Holz, Kies, Stein, Getreide, Veltlinerhonig, Mandeln und Kastanien.
Modelle von Rheinfähren zeigen, dass sie die einzige Möglichkeit waren, den Fluss sicher und trocken zu überqueren, für Reisende und Kaufleute, ortsansässige Bauern und Gutsherren, die Ackerland auf der anderen Seite hatten. Die meisten Schiffe waren täglich im Einsatz, viele in Privatbesitz, aber auch die Obrigkeit und die Kirche beteiligten sich am einträglichen Geschäft.
Rheinnot, Brücken, die Regulierung der Zuflüsse, der Binnenkanal, der Staatsvertrag – viele Themen. Ein Modell zeigt einen Ausschnitt des Rheins, wie er ursprünglich aussah. Hochwasser „schupfte“ man sich mit Wuhren gegenseitig zu, von einem Land ins andere. Bis man mit dem Staatsvertrag 1892 endlich die gemeinsame Regulierung in Angriff nahm. Der Weisheit letzter Schluss hieß damals: Dämme erhöhen, Flusslauf begradigen, das Geschiebe musste in den See, möglichst tief. Heute sieht man vieles anders.
Ein Film aus dem Jahr 1927, der in Liechtenstein gedreht wurde, führt eindrucksvoll vor, mit welch einfachen Mitteln die Menschen gegen das Hochwasser kämpften, wie hilflos sie waren, wie mächtig der Fluss.
Ein nachgebautes Büro eines Rheinbauleiters, eine Arbeiterbaracke und auf dem Tisch eine Kundmachung von 1897, in der von einem Singvögel-Essverbot zu lesen ist. Viele Arbeiter kamen aus dem Trentino und waren es gewohnt, Singvögel zu fangen und als Delikatesse zu verspeisen. Energie brauchten sie wohl, denn den Durchstich schafften sie mit bloßen Händen und Muskeln, mit Tragen und Schlaufen.
Alle einsteigen
Wieder im Freien, kommt man an Loren und der Lok-Remise vorbei, dem Herzstück. Darin stehen zwei Dampf-Lokomotiven und eine Zweikomponentenlok, die mit Diesel oder über eine Oberleitung mit Elektrizität betrieben werden kann. Ehrenamtliche Vereinsmitglieder verbringen viel Zeit damit, die Loks zu pflegen, zu heizen und zu fahren. Von der Vergangenheit tritt man in die Zukunft, hinein in die Halle 2 mit dem Thema „Alpenrheinland“. Vögel zwitschern, Frösche quaken. Die Ausstellung ist multimedial gesteuert und beschäftigt sich mit Fauna, Flora und dem Hochwasserschutzprojekt Rhesi, das die Zukunft des Rheintals prägen wird. Von hier geht’s zur Bahn.
Weil das Rheingebiet sumpfig war und Pferdefuhrwerke mit der schweren Last versanken, transportierte die einfache Dienstbahn früher Kies, Steine und Arbeiter. Heute tuckern bei einer kleinen Jause Familien, Gruppen, Fahrradfahrer und Ausflügler bis Kriessern und nach Widnau zum Rhy-Schopf und zurück. Nostalgisch zu Land und zu Wasser wird es, wenn das Bähnle zur Rheinmündung fährt, wo die Hohentwiel mit einem dreigängigen Lunchmenü wartet. In den zehn Waggons können 176 Personen befördert werden. Menschen mit Behinderung sind gern willkommen. Spezielle Führungen gibt es für Menschen mit Demenz. Luxus darf man sich nicht erwarten, aber Charme und Authentizität. Und wer dann noch einen Vortrag, eine Klausur oder ein privates Fest will, kann den Veranstaltungsraum und die dazugehörige Technik mieten. Die Vereinsmitglieder setzen sich ein, schleppen Getränke über den Hof, richten alles her und helfen mit, weil sie es gern machen, weil ihnen das Projekt „Rhein-Schauen“ am Herzen liegt.