Planet Whisky. Die spannende Welt des guten Geschmacks.
In Liechtenstein destilliert Marcel Telser in einem fünfhundert Jahre alten Haus preisgekrönten, einzigartigen Whisky und Gin. Zwanzig Jahre lang hat er sich akribisch darauf vorbereitet. Er liess seine Leidenschaft und sein Wissen reifen wie das Destillat in seinen Pinot Noir-Fässern. Anfangs von der regionalen Szene verlacht, bekam er bereits für seinen ersten Brand euphorische Bewertungen schottischer Whisky-Experten.
Text Irmgard Kramer Fotos Sven Beham, Telser Distillery Ltd. Foto- und Textredaktion agenturengel Published kultuhr 45, 2015
An einer steilen Bergstrasse in Triesen steht ein Haus, dessen Anblick romantische Gefühle weckt. Die uralte Substanz erkennt man auf den ersten Blick. Tief neigt sich das Holzdach mit seinen Heureitern in den Hof. Hinter einem kleinen Fenster bewegt sich ein Vorhang – der neunzigjährige Vater behält die Besucher im Auge. Schliesslich war er hier vierzig Jahre lang der Brennmeister von Kirsch, Aprikose, Marille und Zwetschke. Die Idee seines Sohnes Marcel, selbst Whisky herzustellen, kommentierte er mit den Worten: „Dä Blödsinn jetzt ou no.“ Durch eine Holztür betreten die Gäste den ehemaligen Stall. Es duftet nach Whisky, Feuerholz, Zigarre und Kaffee. Im Ofen knistert es. Der Boden ist uneben und unter den Dachbalken möchte man den Kopf einziehen. An den Wänden honiggoldene Flüssigkeiten in rautenförmigen Flaschen. Die Welt da draussen scheint weit weggerückt. Vor allem amerikanischen Besucher brechen bei diesem Ambiente in Begeisterungsstürme aus.
Der Geschmack der anderen
Bei Führungen nehmen Gäste am Holztisch Platz und bekommen fünf Gläser Whisky. Ohne miteinander zu reden, sollen sie in fünf Minuten die Whiskys ihrem Herkunftsland zuordnen: Amerika, Schottland, Liechtenstein, Australien oder Japan. Nach umfangreichen Ausbildungen in London weiss Marcel Telser – selbst als Juror tätig, unter anderem bei der International Wine and Spirits Competition, einer der weltgrössten Verkostungen überhaupt –, was er von seinen Gästen verlangt und wie verdammt schwierig Blindverkostungen sind, wenn man seine Sensoren nicht täglich schult. Bei dem Versuch, einen schottischen von einem japanischen Whisky zu unterscheiden, scheitern 95 Prozent. Seine Besucher merken, dass nicht alles so ist, wie sie denken. „Die Leute sollen sich eine eigene Meinung bilden, ohne Vorurteile.“ Entspannt, weltoffen und bescheiden, strahlt Telser eine freundschaftliche Energie aus, die interessante Gespräche entstehen lässt. Nicht nur über Whisky, sondern auch die Psychologie dahinter, über die Meinungsbildner, über „Nachblöker“, Snobs, Kenner und die Unverbesserlichen, die alles, was nicht Scotch heisst, als minderwertig abtun und keine Ahnung haben, wie gross die Welt der Whiskys geworden ist.
Der Traum vom eigenen Fass
Der älteste Whisky, den Telser je verkostet hat, stammte von 1880. Zufälligerweise das Jahr, in dem sein Urgrossvater die Brennerei gründet. Kein einfaches Pflaster für Destillate – abgeschottet durch Grenzen, von der Politik nicht unterstützt; anders als in Vorarlberg, wo das Brennen von Früchten immer schon als wertvolles Kulturgut angesehen wird. Trotzdem brennen die Vorfahren beharrlich ihren Schnaps. Bis Marcel 1991 mit Freunden nach Schottland fährt. Eine Vergnügungsreise soll es werden. Zurück kommt er infiziert mit einem Virus, der ihn nicht mehr loslassen wird. Denn die jungen Männer erfahren, dass es neben Johnny Walker und Ballantine’s noch anderes gibt und Marcel beschliesst: Eines Tages mache ich das auch. Während der nächsten zwanzig Jahre, in denen er Jurist wird, die Brennerei übernimmt und sich intensiv mit dem Projekt „Whisky“ befasst, wird ihm vor allem eines klar: Es genügt nicht, Getreide in ein Fass zu werfen und drei Jahre und einen Tag zu warten. „Diese Kunst wird wahnsinnig unterschätzt.“
Der Prophet im eigenen Land
Im Jahr 2006 ist es so weit. Telser weiss, was er will. Sein Produkt soll in der Region verwurzelt und auf der ganzen Welt erkennbar sein. Er tut, was noch keiner gewagt hat: Das Destillat dreier verschiedener Gerstensorten füllt er in Blauburgunderfässer von lokalen Weinbauern. Jahre des Wartens folgen. Mit dem Duft nach Pinot Noir rechnet keiner. Die lokale Szene kritisiert den Telsington I scharf, lässt ihn höchstens als Grappa durchgehen. Auf den ersten Messen steht Telser allein da, aber gelassen und voller Zuversicht: Er hat genug Know-how, um sich seiner Sache sicher zu sein. Die Fachwelt gibt ihm recht. Experten wie Jim Morray und Dave Broom überschütten den ersten Versuch mit positiven Bewertungen. Auf einmal gibt es Messebesucher mit der Whisky-Bibel unterm Arm, die als Erstes zum Telser wollen. Als die Botschaft in der Region ankommt, ist der Telsington I längst ausverkauft.
Wenn der Meister wie ein Alchemist in der Lederschürze vor seinen Apparaturen sitzt, in denen es sanft köchelt, zischt und gurgelt, darf keiner länger als fünf Minuten stören, nur seine Frau – eine sympathische Französin, die in das Geheimnis eingeweiht ist. Das liegt nämlich im zweiten Brand. Und nicht vergessen: „Always add a drop of water.“