Lucky Punch

Noch bevor er um die Ecke biegt, kann ich ihn hören. Ein Mercedes mit imposantem Kühlergrill und Flammenheck dröhnt an mir vorbei und parkt ein. Klar, Inszenierung ist die halbe Miete. Sein Äußeres spricht eine deutliche Sprache. Tätowierungen, Piercings, schwerer Silberschmuck, wacher – aber durchaus freundlicher – Blick, fester Händedruck. So stellt man sich einen Türsteher in der Tat vor.

 

Wir setzen uns und beginnen das Gespräch mit der Feststellung, dass sich Charly in meinem Büro an die Verhörstube der Polizei erinnert fühlt. Etwas kahl, etwas beengt, etwas viel Neonlicht – fehlt nur noch das obligate Aufnahmegerät. Stattdessen gibt es Laptop und Kaffee. Und schon sind wir mitten im Thema. Ja, das gehört zum Job eines Türstehers. Kontakte mit Polizei und Gericht sind fast unvermeidbar und haben ihn schon einiges an Nerven gekostet in seiner aktiven Zeit, sagt Charly. „Das kann an die Substanz gehen, denn schließlich macht man nur seinen Job.“ Und das heißt: Dafür Sorge tragen, dass sich die Gäste wohl fühlen und einen angenehmen Abend ohne störende Zwischenfälle verbringen können. Der Türsteher ist im Prinzip das dritte Auge der Exekutive. Dass die das nicht immer so sieht, liegt wohl in der Natur der Sache.

Geboren und aufgewachsen ist Charly in Dornbirn Rohrbach als eines von fünf Geschwistern. Seine Eltern stammen aus Südtirol, wohin es ihn auch heute noch mindestens alle fünf Jahre zum großen Familientreffen zieht.

Nach der Schule beginnt er als Deckenmonteur zu arbeiten, ist viel auf Montage. Als Hardrocker und Motorradfan verbringt er zahllose Abende im berühmt-berüchtigten Club 3000 in Bregenz. Charly freundet sich mit der Tochter des Hauses und den Besitzern des Clubs an. Es dauert nicht lange, da hilft er das erste Mal an der Türe aus. Er ist nicht besonders groß oder stark, aber er lernt schnell, was man braucht, um sich auch ohne Muskeldominanz durchzusetzen. August, der Chef, hat im Hinterhof einen Boxclub eingerichtet. Charly beginnt zu boxen, arbeitet hart an Reaktion, Kraft, Ausdauer. Denn wer in dieser Zeit an der Tür steht, muss flink sein. Messer sind jederzeit schnell gezückt. Fast zehn Jahre arbeitet Charly schließlich im Club 3000 an der Türe. Harte Jahre. Seine Lehrjahre, wie Charly heute meint. Inzwischen betreibt er seinen eigenen, kleinen Boxclub in Lustenau. Nicht professionell – mehr „aus Spaß an der Freude“, wie er sagt.

„Wenn Du merkst, eine Person ist aggres­siv oder angeheitert, dann beginn ein ruhiges Gespräch. So kannst du die wirkliche Verfassung einschätzen“, erklärt Charly. Er ist immer aufmerksam und konzentriert. Nur manchmal lässt er sich durch sein Mobil­telefon ablenken, das alle paar Minuten etwas von ihm will. Er ist ein begehrter Mediator, erfahre ich. Streit schlichten, das kann er gut. Ich will wissen, ob er oft zuschlagen musste. Er lächelt. „Ich arbeite mit meinem Kopf und meinem Mund. Nur zur Verteidigung benutze ich meine Hände.“ Charly Brugger avanciert als einer der ersten in Vorarlberg zum Szene-Türsteher. Nach dem Club 3000 wechselt er ins B190. Er arbeitet sauber. Ein Türsteher muss vor allem freundlich sein. Keine Drogen, kein Alkohol, sonst kann man keinen kühlen Kopf bewahren. Sein Ruf eilt ihm voraus, Sigi Innauer holt ihn ins legendäre „Innauer“. Dort arbeitet Charly besonders gerne. „Je besser man mit der Geschäftsführung harmoniert, desto interessanter ist der Job.“ Im Laufe der Jahre macht er den Doorman an so mancher Türe: ob im Downtown, im Metro­nom, in der 7er Bar, im Conrad Sohm oder für das Parkdeck Feldkirch – er sorgt für entspannte Nächte in den Clubs.

Die heutige Clubszene kennt Charly gut. „Empfehlen kann man eigentlich alle Clubs in Dornbirn. Es ist für jeden Geschmack etwas dabei. Das Publikum ist mir persönlich manchmal etwas zu jung und ungestüm, aber das ist eben der Lauf der Zeit“, sagt er ohne allzu großes Bedauern.

Alle paar Jahre nimmt sich Charly Brugger eine Auszeit. Wer tagtäglich mit den Auswüchsen manch schlechter Kinderstube konfrontiert wird, sammelt auch einiges an, was verarbeitet werden muss. Dann geht Charly wieder auf Montage – um „runter zu kommen“, wie er sagt. Das funktioniert gut für ihn. Angeln, Motorrad fahren, sich in der freien Natur bewegen, ein gutes Buch lesen, viel Musik hören. Seinen Sohn in Kanada besuchen. Kurz: auf Abstand gehen und wieder zu sich selbst finden.

Generationen an Nachtclub­-­Besuchern haben ihn und sein waches Auge passiert. Rocker, Zuhälter, Banker, Punks, Models, Freaks, Direktoren, Arbeiter, Frauen und Männer, egal welcher Abstammung oder Nationalität. Wer auch immer kommen mag, Charly begegnet jedem vorurteilsfrei. Auch heute noch.

Charly Bruggers ganzer Stolz ist die Wiederbelebung des Club 3000. Auf einer Revival Party trifft er alte Freunde. Verkündet die Wiedereröffnung des Clubs. Im Scherz eigentlich. Dann aber?… Gesagt, getan. 2004 gründet Charly einen Verein und organisiert nun jährlich mindestens zwölf Events mit Live-Bands. Seine Open-Airs und die Dornbirner Rocknacht sind mittlerweile Kult und bereichern das kulturelle Angebot der Stadt. An der Tür steht Charly Brugger dann auch. Fast wie damals. Heute allerdings nur, um seine zahlreichen Gäste als verantwortlicher Vereinsobmann zu begrüßen. Die Türe delegiert er gerne an den Doorman.

 

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