Alles im Fluss. In Hamburg an der Elbe.
Wo man nicht überall hinfahren könnte: zum Schlemmen nach Paris, zum Shoppen nach London, zum Galerien-Gucken nach New York Geht aber auch einfacher: Hamburgs vielfältige Stadtviertel bieten all das, gewürzt mit einer Prise Hanseatentum.
Text Verena Carl Fotos Sebastian Warneke, Mediaserver Hamburg, Verena Carl Foto- und Textredaktion agenturengel Published kultuhr 42, 2013
Jedes Jahr, immer um die Novembermitte herum, spielt sie mir den gleichen Streich. Ich trete morgens ans Fenster, und draussen ist: nichts. Ausser diesem Nebel, so dick, als könnte man mit beiden Händen hineingreifen. Nach 15 Jahren in meiner Lieblingsstadt falle ich auf den Trick nicht mehr herein, aber ich bin keine Spielverderberin, und so schmeichle ich immer wieder aufs Neue: Komm da raus! Zeig dich! Du bist doch meine Schönste! Natürlich tut sie mir den Gefallen, wirft einen Schleier nach dem anderen ab, bis sie in ihrer ganzen herbstlichen Herrlichkeit vor mir steht. In einem Kleid aus flirrend buntem Laub und glitzerndem Elbwasser, auf dem schon in wenigen Wochen dicke Eisschollen treiben werden.
Meine Wahlheimatstadt hat nah am Wasser gebaut – auch ich manchmal. Eine Seelenverwandtschaft. Aber warum ich nach vielen Lebensstationen hier vor Anker gegangen bin – das hat einen anderen Grund. Denn es gibt wenige Städte, in denen auf kleinem Raum so viele, völlig unterschiedliche Welten nebeneinander bestehen. Eine Stadt, in der Wandel das einzig Konstante ist, die seit Jahrhunderten gerne Altes plattmacht und Neues schafft. Das ist bunt, das ist aufregend, das erzeugt eine ganz eigene Energie.
Vom Dünenstrand zum Hightech-Viertel
Die Entdeckungsreise beginnt am Museumshafen Neumühlen, am Strandweg „Övelgönne“, wo die alten Kapitänshäuschen stehen, verwinkelt und verwunschen. Elbaufwärts, Richtung Othmarschen, ist die Hamburger Gediegenheit zu Hause. Villen am Elbhang mit uraltem Baumbestand, Spaziergängerinnen mit Perlenohrringen und Burberry-Trenchcoat. Oben an der Elbchaussee liegt der Jenischpark, Hamburgs vielleicht schönste Grünfläche, im Stil eines englischen Landschaftsparks. Dort trifft man sich im winzigen Café in der Villa „Jenischhaus“ zu Torte und Friesentee, lässt unter einer riesigen Eiche den Blick über den Hang und die Elbe schweifen und den Golden Retriever von der Leine. Ein paar Kilometer weiter westlich thront das Traditionshotel „Louis C. Jacob“ über dem Fluss. Wo vor 100 Jahren der Künstler Max Liebermann logierte und malte, stellt heute Starkoch Thomas Martin allabendlich seinen zweiten Michelin-Stern unter Beweis. Noch ein Stück weiter folgt Blankenese. Schönster Fussweg: durch den Hessepark und das italienisch anmutende Treppenviertel hinunter an den Strandweg, Glühwein bei einem fliegenden Händler bestellen, Nordsee-Atmosphäre tanken am Dünenstrand, vergessen, dass rundherum Stadt ist.
Denn Stadt ist da – und wie! Wer hier in die Elbfähre steigt und stromaufwärts in Richtung Zentrum fährt, dem kann glatt schwindelig werden. Dort wird’s nämlich so urban, dass es kaum noch steigerungsfähig ist. Da wäre zum Beispiel die Elbinsel Wilhelmsburg auf der südlichen Flussseite: Nach Jahrzehnten des Dornröschendaseins neues In-Viertel, Lieblingskind der Stadtplaner, Dorado für Architekten. Vom Luxus-Ökohaus mit Algenfassade bis zur schwimmenden Wohnung – wer wissen will, wie wir in Zukunft leben, kommt an Wilhelmsburg nicht vorbei. Noch spektakulärer ist das zweite, komplett neu erschlossene Gebiet „Hafen City“, mittendrin in der Stadt, nahe den Landungsbrücken. Mit luxuriösen Eigentumswohnungen und einer der umstrittensten Baustellen Europas, der „Elbphilharmonie“, entworfen von den Star-Architekten Herzog & de Meuron. Kosten: astronomisch, Interesse: auch. Baustellenführungen sind häufig über Monate ausgebucht. Von hier ist es nur ein Katzensprung bis nach St. Pauli, der legendären Amüsiermeile. Schmuddelkind? Das war einmal. Rund um die Reeperbahn hat die Stadt sich in den letzten Jahren hübsch gemacht. Etwa mit dem neuen Hotel „Empire Riverside“, wo am Freitag und Samstag abends die Nachtschwärmer am Lift Schlange stehen, um einen der begehrten Plätze in der Bar „20 Up“ zu ergattern. Hugo & Co. im 20. Stock, über dem blinkenden, zuckenden, pulsierenden Lichtermeer. Hier ist Hamburg die Stadt, die niemals schläft.
Oh, là, là: Pariser Schick in Eppendorf
Energie für einen neuen Ausflug? Beginnen wir am Deutschen Schauspielhaus, direkt gegenüber vom Hauptbahnhof. Eine Legende, mit ehemaligen Intendanten wie Gustaf Gründgens und Regisseuren wie Peter Zadek, in den letzten Jahren aber stets im Schatten der Konkurrenz vom Thalia-Theater. Zur Spielzeit 2013/2014 beginnt hier die junge Intendantin Karin Beier, will selbst auch inszenieren – gespannt wartet das Hamburger Kulturpublikum auf den Neustart. Direkt hinter dem Schauspielhaus beginnt die Einkaufsstrasse „Lange Reihe“, Hauptschlagader des Viertels St. Georg. Hier spielt Hamburg seine bunteste Rolle: Hansestadt goes San Francisco. Designershops mit Regenbogenfahne, französische Brasserien, kuschelige Boutique-Hotels wie das neue „The George“ in Alsternähe: Alle lieben den „Gay Chic“ des Viertels. Nicht nur händchenhaltende Männerpaare, auch der Banker mit Gattin oder die Freundinnen beim Styling-Bummel.
Appetit auf etwas ganz anderes? Einfach Kurs Nord-West einschlagen, am liebsten zu Fuss, einmal um die halbe Alster herum, den aufgestauten Elb-Zufluss mitten in der Stadt. Nachschauen, ob die Alsterschwäne schon im Winterquartier sind, dick eingepackte Segler und Ruderer beobachten, unterwegs vielleicht im Café der „Literaturhaus“-Villa aufwärmen – und schon ist man in Paris. Nein, eigentlich ja in Eppendorf. Könnte man aber glatt verwechseln. Prachtvolle Gründerzeitbauten wie rund um die Champs-Elysées, plüschige Patisserien (zum Beispiel das „Petit Café“ in der Hegestrasse), der appetitliche Wochenmarkt in der Isestrasse, stilvolle Boutiquen wie „Anita Hass“, wo sich Schauspielerinnen, Fussballer-Gattinnen und andere „Fashionistas“ mit Isabel-Marant-Boots und Chloé-Dress winterschick machen.
Schliesslich, auf dem Rückweg Richtung Elbe, kommt die Stadt daher wie in den Szenebezirken Londons oder New Yorks: jung, schräg, improvisiert. Wer „Shabby Chic“ mag, fühlt sich wohl in Eimsbüttel, im Karolinenviertel, in Ottensen, wo Mütter mit Flohmarkt-Kinderwagen die Bürgersteige dominieren. Vor allem aber im Schanzenviertel. Morgens strömen Kreative im Flohmarkt-Outfit in ihre Internetagenturen, nachts tobt der Punkrock in angekokelten Bruchbuden – aber nur eine Strasse weiter treffen sich junge „High Potentials“ zum 200-Gramm-Premium-Steak in der „Bullerei“, dem jüngsten Projekt von TV-Koch Tim Mälzer in der alten Rinderschlachthalle.
Spätestens im März eröffnet hier wieder die Strassencafé-Saison, auf den Bürgersteigen werden Liegestühle aufgestellt, und bald, so hoffen alle, zeigt sich Hamburg von der Sommerseite. Aber das ist eine ganz andere Geschichte.
Ein Kunstwerk zum Lunch: Hamburgs schönste Museen und Ausstellungen
Oft sind es gerade die unwahrsten Klischees, die sich am hartnäckigsten halten. Vor allem die Geschichte mit den Pfeffersäcken: Angeblich zieht der hanseatische Kaufmann den Anblick einer schönen Bilanz jedem Kunstwerk vor. Alles kalter Kaffee. In Hamburg blüht das Mäzenatentum, in Laufweite rund um die Innenstadt liegen einige der spannendsten Museen Deutschlands – Vielfalt auf engem Raum, passend zum Spirit der Stadt. Klein, aber fein gibt sich das „Bucerius Kunst Forum“ am Rathausmarkt, gesponsert von der Stiftung des 1995 verstorbenen „Zeit“-Verlegers Gerd Bucerius: wenig Ausstellungsfläche, umso mehr Raum zum Schauen, Staunen, Verstehen. Diesen Winter wird’s schwelgerisch: Die Ausstellung „Dionysos – Rausch und Ekstase“ (bis 12. Januar) zeigt, wie die Malerei der Neuzeit an antike Bilderwelten anknüpft: Unter dem Motto „Pompeji – Götter, Mythen, Menschen“ präsentiert das Museum antike Wandmalereien aus dem Archäologischen Nationalmuseum Neapel (bis 11. Januar). Auch die „Hamburger Kunsthalle“ ist ein Ort für Zeitreisen: Zur Dauerausstellung gehören sowohl das berühmte Kupferstichkabinett als auch Werke bedeutender Zeitgenossen wie der Medienkünstlerin Jenny Holzer und des Bildhauers Thomas Schütte, ausserdem eine umfangreiche Sammlung von Fotokünstlern (Andreas Gursky, Candida Höfer). Aktuelles Ausstellungs-Highlight: eine Werkschau der gebürtigen Hamburger Künstlerin Eva Hesse, die in den 60er Jahren filigrane Skulpturen aus Polyester, Glasfaser und Latex schuf (29. November bis 2. März). Tipp für Regentage: Unter dem Motto „Art & Cube“ bietet die Kunsthalle Kombipakete mit Führung und Lunch im Restaurant „The Cube“ an (Sa und So 10.30 bis 14 Uhr, Reservierungen unter Tel. (0)40 428 54 26 11). Von hier ist es nur ein kurzer Fussweg bis zu den „Deichtorhallen“ auf der anderen Seite des Hauptbahnhofs, wo in drei historischen Lagerhallen aus der Gründerzeit moderne Kunst zu sehen ist, mit Schwerpunkt Fotografie. Sehenswert: die Schau des Modefotografen Guy Bourdin (bis 26. Januar), der mit seinen Mode-Inszenierungen den Stil von Starfotografen wie David LaChapelle entscheidend mitgeprägt hat. Doch Hamburg wäre nicht Hamburg, gäbe es nicht auch zum offiziellen Kunstprogramm einen spannenden Kontrast: Bereits zum zweiten Mal findet im November die „Affordable Art Fair“ auf dem Messegelände statt, ein Treffpunkt für Sammler, vor allem aber solche, die es werden wollen. Das Konzept: jünger, schräger, wilder – und kein Kunstwerk kostet mehr als 5000 Euro. Ein Drittel der ausstellenden Galerien stammt aus Hamburg selbst, ein weiteres Drittel ist ebenfalls deutsch, ein Drittel international. Und weil Kunst auch Spass machen soll, legt einmal wöchentlich bei der „Late View“ ein DJ-Kollektiv House, Disco und R&B-Musik in den Messehallen auf.
Info: Kombikarten für das Bucerius Kunst Forum, Kunsthalle und Deichtorhallen plus Kunstverein Hamburg und Museum für Kunst und Gewerbe, sowie Infos über aktuelle Ausstellungen, gibt es unter www.museumsmeile-hamburg.de; der „Kunstmeilenpass“ für 29 Euro ist direkt online erhältlich. Affordable Art Fair: 14. bis 17. November in den Hamburger Messehallen, Info unter affordableartfair.com/hamburg
Hamburg im Winter 2013/2014
Literatur
Adresse: Schwanenwik 38, 22087 Hamburg, Tel. (0)40 2270 20 11, www.literaturhaus-hamburg.de
Musik
(Termine unter www.cpebach.de)
Baustellenführungen Elbphilharmonie: Jedes Wochenende möglich, frühzeitig buchen –
Info unter www.elbphilharmonie.de/elbphilharmonie-fuehrungen.de, Tel. (0)40 35766666
Theater
Info, Spielplan und Karten: www.schauspielhaus.de, Karten-Tel. (Mo bis Sa 10 bis 19 Uhr) (0)40 24 87 13
Day Spa
Preise von 30 € für die Basis-Variante bis zu 180 € für die Exklusiv-Verwöhnvariante, www.hamam-hamburg.de, Tel. (0)40 311 08 39 90
Shopping
Weihnachtsmärkte: Fernab vom GlühweinKampftrinken gibt es ein paar echte Perlen fürs Weihnachtsshopping. Besonders stimmungsvoll: Der kunsthandwerkliche „Fleetweihnacht“-Markt auf der „Fleetinsel“ und die fröhliche Multikulti-Variante in Ottensen (an der Ottenser Hauptstrasse), mit hübschen Verkaufsständen und Spezialitäten von afrikanisch bis asiatisch (jeweils vom 25.11 bis 23.12.2013)
Einkaufsstrassen: Am „Neuen Wall“ (Innenstadt) sind die Designershops zu Hause – hochpreisig und hochklassig, von Chanel bis Burberry. Wer auf der Suche ist nach kleinen Labels lokaler Designer, schrägen Boutiquen, witzigen Schuhläden, wird fündig in der Weidenallee (Eimsbüttel), am Schulterblatt (Schanzenviertel) und in der Marktstrasse (Karoviertel). Tipp: Coole, eigenwillige Herrenmode, auch massgeschneidert, bei „Herr von Eden“, Marktstrasse 33 (Tel. (0)40 439 00 57) – hier shoppen Künstler und Showbiz-Prominente.
Verena Carl: In Hamburg sagt man Tschüss.
© Verena Carl
Eigentlich gelten die Hanseaten als zurückhaltendes Volk. Aber: „Die Stadt hat mich mit offenen Armen aufgenommen!“, erzählt die Schriftstellerin und Journalistin Verena Carl (43) über ihre Anfänge in Hamburg. Nicht nur, dass sie bereits in ihrem ersten Jahr als Wahl-Hamburgerin den renommierten Literaturförderpreis der Stadt erhielt, auch ihren heutigen Mann traf sie kurz nach ihrem Umzug in den Norden. A perfect match. Das war nach der Jahrtausendwende, damals hatte Verena Carl gerade ihr erstes Buch veröffentlicht. Heute sind es insgesamt 13 Titel, Romane, Jugend- und Kinderbücher. „Authentisch und voll umwerfender Tragikomik“, urteilte der „Focus“ über ihren Schreibstil. Ihr jüngstes Buch ist eine Liebeserklärung an Norddeutschland, kleine Philosophie über das Frau-Sein um die 40 und vergnügliche Sofa-Lektüre in einem: „Friesenherz“, erschienen unter ihrem Zweit-Autorennamen Janna Hagedorn im Diana Verlag. Wenn Verena Carl nicht gerade am Schreibtisch in ihrer Ottenser Altbauwohnung sitzt, tobt sie gerne mit ihren beiden Kindern am Elbstrand– immerhin „gebürtige Hamburger“. Denn: Um sich „geborener Hamburger“ zu nennen, muss man einer alteingesessenen Familie entstammen. Sie entführt in ihre Stadt, die einfach alles kann und jedem etwas zu bieten hat.