Boxenstopp für ein gutes Leben Doktor Moosburger bittet zum Crashtest
Wer zum ersten Mal in die Rickatschwende kommt, wird schnell seinen Namen hören: Doktor Moosburger. Seit der Eröffnung 1989 ist er der leitende Kurarzt. Seine Praxis bildet die Herzkammer des Gesundheitszentrums. Hier gehen die Patienten einen Pakt mit ihm ein. Wer nach seinen Empfehlungen lebt, profitiert meistens, spätestens am Ende der Kur, wenn der Verzicht geschafft und der innere Schweinehund besiegt ist und man sich wohler fühlt. Dann kann auch der Doktor nach Hause fahren, am liebsten mit dem Motorrad.
Text Irmgard Kramer Fotos hiepler, brunier; Archiv Moosburger Foto- und Textredaktion agenturengel Published Rickatschwende Magazin mayr 02, 2019
Dampf steigt aus der schwarzen Vulkanlandschaft Islands. Motoren heulen auf. Für eine Sekunde blitzt der blaue Himmel durch. Ein Sonnenstrahl erfasst acht Männer, die halb stehend ihre Enduros über die grobkörnige Asche jagen und versuchen, die knietiefen Spurrinnen der wenigen Geländewagen zu meiden. Steil bergab fahren sie in ein idyllisches Tal an der Südküste über grüne Wiesen, vorbei an einer uralten Schäferhütte. Enten flattern aufgeregt. Vor der berühmt-berüchtigten Piste F88 warnen Schilder vor den anspruchsvollen Furten auf den hundert Offroad-Kilometern bis zum Krater Askja. Glücklicherweise sind diese Fahrer keine Anfänger. Sie haben schon Wüsten, Berggipfel, Schlammlöcher, Geröllfelder und aufgeweichte Waldböden bewältigt und wissen, wie sie tiefe und breite Wasserläufe durchqueren, ohne umzufallen oder steckenzubleiben, nämlich langsam und v-förmig, erst gegen, dann mit der Strömung. Nach der anstrengenden Etappe ziehen sie sich die schmutzigen Lederklamotten aus, legen sich in einen Geysir, sehen in die Mitternachtssonne und sind danach so aufgeheizt, dass sich der Gletscherwind wie eine laue Brise anfühlt.
Gekommen, um zu bleiben
Tief zufrieden kehrt Doktor Moosburger nach seinem Urlaub in Feuer und Eis zurück in die Rickatschwende, wo er seit dreißig Jahren arbeitet, obwohl er nach dem Studium ganz andere Pläne hatte. Aufs Land wollte er, ins Kleinwalsertal, eine Praxis eröffnen, zwischen Bergen in üppiger Natur. Die Verträge waren so gut wie unterschrieben, als ein fertig ausgebildeter Arzt aus der Gemeinde, der ursprünglich etwas anderes hatte machen wollen, sich doch für diese Stelle bewarb. Für den jungen Doktor Moosburger eine schwierige Situation und eine unerwartete Chance gleichzeitig, als Rickatschwende-Inhaber Heinz Hämmerle auf ihn zukam. Schnell stellte er fest, dass er in Rickatschwende am richtigen Platz gelandet war – die Beziehung zum Patienten mit all den ganzheitlichen Zusammenhängen, den Lebenszykluskrisen und dem sozialen Umfeld interessierte ihn immer schon am meisten. Bereits während des Studiums begriff er, dass neben der Biologie noch andere Faktoren über das Gesund- oder Kranksein eines Menschen mitbestimmen. Für viele Symptome gibt es keine passende medizinische Erklärung; eine Erkrankung kann psychosomatisch sein, etwa ausgelöst durch ein Trauma in der Kindheit.
Das Wesen erfassen
Die meisten Menschen, die zu Doktor Moosburger kommen, haben den Wunsch nach komplementärer Behandlung, die sie erhalten, sobald schulmedizinisch alles abgeklärt ist. Sie sind bereit, Eigenverantwortung zu tragen und wollen etwas für ihre Gesundheit tun. Das macht die Arbeit des Arztes leichter. Er sieht sich nicht als Autoritätsperson, sondern überlegt sich nach bestem Wissen und Gewissen, was ein sinnvoller diätetischer Weg sein kann, um ein Leiden zu lindern. Dann aber ist das, was er mit dem Patienten vereinbart, als Therapievertrag bindend. Auf dem Schreibtisch von Doktor Moosburger steht kein trennender Bildschirm. Jeder Mensch soll seine ungeteilte Aufmerksamkeit bekommen. Dafür nimmt er in Kauf, dass die Dokumentation ein wenig komplizierter und zeitaufwendiger ist. Täglich kommen seine Patienten zur Bauchbehandlung, manchmal jedoch rückt etwas anderes in den Vordergrund: ein Rückenproblem, ein Konfliktthema, um das er sich kümmert. Mit entsprechender Gesprächsführung, die er, neben vielen anderen Zusatzausbildungen, über fünf Jahre während einer transaktionsanalytischen Weiterbildung und im Rahmen der Ausbildung in psychosomatischer Medizin gelernt hat. Die vielen unterschiedlichen Schicksale berühren ihn. Das kann einen belasten, weswegen er die Möglichkeit zur Supervision nützt oder seine Frau, eine Psychotherapeutin, um eine Intervision bittet. Das gehört zu seiner eigenen Psychohygiene. Doktor Moosburger ist ein reflektierter Mensch. Vor vier Jahren wurde er Großvater. Es ist ihm wichtig, wertvolle Zeit mit seinen Enkelkindern zu verbringen, was ihn dazu bewogen hat, zusätzlich einen Nachmittag frei zu nehmen. Seine Freizeit gestaltet er aktiv, mit einer Fülle von Interessen und einem ausgeprägten Bewegungsdrang. Das Älterwerden bringt einen Wandel mit sich. Sportarten, die ihm früher wichtig waren, rücken an den Rand, andere werden wichtiger. Auch er hat am eigenen Leib erfahren, wie kostbar die Gesundheit ist und muss mit einer Kunsthüfte leben. Jederzeit kann sich alles ändern. Ein Grund mehr, jeden Tag zu genießen.
Spannend entspannen
Eine Leidenschaft, die sich durch sein Leben zieht, ist das motorisierte Zweirad. Sein erstes Moped – eine Herkules – kaufte er sich mit sechzehn. Sein Vater, ebenfalls Arzt, sah die große Gefahr und wollte ihn nicht unterstützen, also arbeitete Wolfgang während der Sommerferien – bei der Wildbachverbauung, bei der Vermessung im Straßenbau, alles war ihm recht, um Geld für sein erstes Motorrad zu verdienen. Während des Studiums brauste er mit dem Moped durch Innsbruck, mit dem Motorrad kurvte er durch Korsika und Südfrankreich. Dann kam er mit der Enduro in Kontakt. Enduro (aus dem spanischen „duro“ für hart, und aus dem englischen „endurance“ für Ausdauer) wird in Österreich auch Gatschhupfer genannt, weil man damit abseits asphaltierter, befestigter Straßen durchs Gelände fährt. In Österreich gibt es kaum Möglichkeiten, aber Italien, Kroatien, Rumänien, Bulgarien, Marokko, Türkei und Island sind beliebte Enduro-Ziele. Anbieter stellen Routen zusammen, organisieren Unterkunft, Verpflegung, stellen Guides und Motorräder zur Verfügung. So bereist Doktor Moosburger außergewöhnliche Orte, die man als normaler Tourist nie zu Gesicht bekommt, zusammen mit Gleichgesinnten aus europäischen Ländern, aus Amerika, Kanada und Australien. Gefragt sind Schnelligkeit, Kraft, Reaktionsfähigkeit, Koordination, Gleichgewicht, sehr viel Kondition und vorausschauendes Planen – blitzartig muss man erfassen, was in Bruchteilen von Sekunden auf einen zukommt. Für Dr. Moosburger eine der komplexesten Sportarten, die er kennt, komplexer noch als Sportklettern, das er seit seiner Studentenzeit aktiv betreibt. Er und seine Frau konnten die beiden, heute erwachsenen, Kinder so damit anstecken, dass sie beide im österreichischen Nationalteam kletterten.
Den Kopf frei machen
Dr. Moosburger mag Sportarten, die seine gesamte Aufmerksamkeit verlangen. Wenn er „nur“ joggt, kann er immer noch an etwas anderes denken. Beim Klettern oder beim Enduro-Fahren geht das nicht, auch nicht, wenn er auf der Slackline balanciert, die er in seinem Garten zwischen zwei Bäumen gespannt hat. Die Slackline zwingt ihn zu einer intensiven Auseinandersetzung mit sich selbst. Sie sagt ihm sofort, ob er im Einklang mit sich ist oder nicht. Jedes Wochenende verbringen Dr. Moosburger und seine Frau in der Natur. Sie fahren in ihr Feriendomizil nach Damüls, lieben die Berge und haben eine hohe Affinität zur Alpe Klesenza, einem Tal an der Nordseite der Roten Wand. Aus der Regenerationsforschung weiß er, dass die Erholung im Wald, bei Wasser und Grün, viel schneller geht als in der Stadt. Seine Lebenskraft und seine Lebensfreude bezieht er hauptsächlich aus der Natur. Und zwischendurch packt ihn die Abenteuerlust, dann fährt er mit seiner Männerclique in ein fernes Land, setzt sich auf seine Enduro, tritt das Gaspedal, dass der Motor heult, die Maschine vibriert und das Benzin duftet. Offroad donnert er durch die Landschaft, mit ausreichend viel Verantwortungsgefühl gegenüber sich selbst, seiner Familie und seinem Arbeitgeber – nicht um sich oder jemand anderem etwas zu beweisen, sondern einzig und allein, um intensiver zu leben. Und während nach einer Tour auch das Gefühl da ist, geknüppelt oder durch den Fleischwolf gedreht worden zu sein, fühlt sich Doktor Moosburger rundum glücklich und zufrieden in seiner Haut.