Die Perle im Bodensee Der ewige Traum vom Süden am Meer der Schwaben
Da liegt sie, die Wunderschöne, im türkisgrünen See, durch zwei Brücken nur mit dem Land verbunden. Wer die Insel Lindau betritt, kommt nicht umhin, sich mit ihrer Geschichte zu beschäftigen.
Text Eva Engel, Irmgard Kramer, Dr. Gerhard Ecker Foto Michael Häfner, Jesus Giraldo, Gartendenkmal Lindenhof, David Knipping, Lindau Tourismus und Kongress GmbH, Dr. Gerhard Ecker Foto- und Textredaktion agenturengel Published nobleSee 07, 2017
Ein Schaufelraddampfer gleitet im Schatten eines modernen Bodenseeschiffes durch die imposante Hafeneinfahrt. Passagiere recken ihre Köpfe, richten Pupillen, Linsen, Kameras und Zeigefinger abwechselnd auf den prachtvollen, sechs Meter hohen Lindauer Löwen und den Leuchtturm – verewigt auf Millionen Fotos, mit den schneebedeckten Gipfeln der Alpen im Hintergrund. Es ist der einzige Leuchtturm in Bayern. Wo sonst sollte er auch stehen?
Seit 1806 ist Lindau die einzige bayerische Stadt am Bodensee und König Maximilian II. Joseph hatte eine Vision: Der Rhein wurde gerade für die Schifffahrt ausgebaut. Basel bekam einen großen Hafen. Warum nicht die Rheinfälle mit Staustufen umfahren, Lindau zu einem Hochseehafen machen und über Rotterdam die Weltmeere erreichen? Aber dann würde Lindau heute wohl Maximilianshafen heißen, als Pendant zu Friedrichshafen.
Nabel der Welt
Die Gäste steigen aus, schnuppern, es riecht süßlich – wie Parfum liegt der Duft nach Lindenblüten über der Insel. Im Hafen reihen sich pastellfarbene Hotels wie Perlen aneinander – die „bayerische Riviera“. Man löffelt Heiße Liebe, leckt an Eistüten, flaniert am Ufer entlang, entdeckt die Altstadt und lässt die Seele baumeln. Maximilian hätte gestaunt, was aus „seiner“ Welthandelsstadt geworden ist.
Als er regierte, war Lindau quasi der Nabel der Welt. Tonnen von Salz aus Bad Reichenhall machten hier Halt auf dem Weg in die Ostschweiz, wo Käse gesalzen und Fleisch gepökelt wurde. Täglich kamen fünfzig Wagenladungen Getreide aus Ungarn und Russland. Gehandelt wurden Wein, Edelobst und Gemüse von den Kulturen des Klosters St. Gallen sowie Flachs und der zum Schiffbau benötigte Hanf. Das milde Mikroklima verwandelt alles in und am Bodensee in ein blühendes Schlaraffenland. Aus dem westlichen Allgäu und dem Bregenzerwald wurde der Markt mit Schmalz, Käse und Vieh beschickt, die oberschwäbischen Bauern fuhren Getreide heran. Zu diesem Nahhandel gesellte sich bald auch der Fernhandel mit dem Süden.
Die Bahn brachte enorme Erleichterung. Bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts führten die Gleise hinaus zum Leuchtturm. Dort wartete 1869 der erste Trajekt-Dampfer, eine Eisenbahnfähre, die von den Bahngesellschaften zum Transport von Eisenbahn-Güterwagen über den Bodensee eingerichtet wurde. Mit der Eisenbahn kamen die Fremden. Zimmer wurden gebaut und vermietet. Die Perlenkette der Hotels am Ufer entstand.
Deutsche Riviera
Im Mittelalter war Lindau das Venedig im Schwäbischen Meer. Vom alten Leuchtturm ging ein breiter Graben, der „Inselgraben“, weg. Er durchschnitt die Insel komplett. Zwei Drittel waren bewohnt. Durch Auffüllungen und Aufschüttungen entstand die heutige Form. Die letzte Baumaßnahme wurde 1969 vorgenommen, weil der See zwischen den beiden Brücken zu verlanden drohte. Schlamm wurde auf die westliche Inselseite gebaggert. 40 000 m² neues Land entstanden.
Beim Spaziergang auf die Insel entdeckt man den wundervollen Landschaftspark der Villa Lindenhof. Eine der vielen Villen. Reiche Lindauer gab es schon immer. Sie waren weit gereist und brachten aus China und Kalifornien Mammutbäume, Blauglockenbäume, Taschenbuchbäume und Tulpenbäume mit.
Dann kam der Krieg. Obwohl über Lindau keine Bomben fielen, war es verboten, bei Fliegeralarm das Haus zu verlassen. Als das Kriegsende bevorstand, wollten die Nazis selbst Eisenbahndamm, Brücke, Hafen, Bahnhof, Strom, Wasserwerk zerstören. Das passte nicht jedem. Ein paar sehr mutige Kapitäne fuhren die Schiffe bei Nacht und Nebel in die Schweiz, versteckten sie dort und holten sie nach dem Krieg wieder ab. Ganz Bayern stand unter amerikanischer Besatzung. Nur Lindau war von Franzosen umgeben. Zehn Jahre lang wurde die Stadt wie ein eigenes kleines Bundesland behandelt. Französisch-Bayern – FBY war das Autokennzeichen. Zu dieser Zeit etwa genehmigte der Stadtrat die Konzession einer neuen Spielbank. Auflage war, dass 70 % der Spielerträge für gemeinnützige Zwecke gespendet werden sollten. Am 1. September 1955 wurde Lindau wieder in den Freistaat Bayern eingegliedert. Bayerns einziger Leuchturm war wieder aktiv.
Interview
Wie es sich heute in Lindau lebt und wie es weitergeht, dazu haben wir den sympathischen Lindauer Oberbürgermeister Dr. Gerhard Ecker befragt.
Herr Dr. Ecker, stimmt es, dass die meisten Tagesgäste per Schiff anreisen?
OB Dr. Gerhard Ecker: Darüber gibt es keine verlässlichen Zahlen. Tatsache ist, dass sehr viele Besucher per Schiff kommen, und dass die Schifffahrt nach wie vor Lindau prägt. Seien es die Schiffe der Weißen Flotte, die vielen Segel- und Motorboote privater Eigner oder die Hohentwiel, deren Anblick, flankiert von Löwe und Leuchtturm, in eine andere Zeit zu entführen scheint. Ich persönlich finde, der Charme der Hohentwiel lässt sich nur auf dem Schiff selbst intensiver erleben als vom Lindauer Hafen aus.
Wie schaffen Sie es, dass sich Bewohner und Touristen gleich wohl fühlen?
OB Dr. Gerhard Ecker: So etwas schaffen wir natürlich nur gemeinsam. Zunächst sind die Lindauerinnen und Lindauer seit vielen Jahrzehnten hervorragende Gastgeber. Als Stadt fördern wir ein abwechslungsreiches Kultur- und Freizeitangebot, das Gästen und Einheimischen gleichermaßen zugutekommt. Wir investieren viel Geld in Kindergärten und Schulen, so haben wir zuletzt unsere größte Schule in Reutin generalsaniert. Zudem arbeite ich mit dem Stadtrat und meinem Team seit 2012 daran, einen jahrzehntelangen Investitionsstau aufzulösen. Als Beispiel nenne ich die Bahnunterführung am Langenweg, die von 2018 an dafür sorgen wird, dass Einheimische und Gäste die Insel leichter erreichen können.
Welche Sehenswürdigkeiten würden Sie einem Tagestouristen besonders ans Herz legen?
OB Dr. Gerhard Ecker (lacht): Wie viel Platz haben Sie in diesem Interview? Im Ernst: Lindau überzeugt als Gesamtensemble mit wahren Schmuckstücken. Sei es die Fahrt über den Bahndamm oder vom See durch die Hafeneinfahrt. Der Charme der engen Gassen der mittelalterlichen Altstadt wird durch den Reiz des Lindenhofparks verstärkt. In dieses bedeutende Gartendenkmal werden wir dank großzügiger Fördermittel 2017 ungefähr 800 000 Euro investieren. Ein Geheimtipp ist sicher die Ehemals Reichsstädtische Bibliothek im Alten Rathaus. Aber auch die phantastische Landschaft im Hinterland, die malerischen Wein- und Obstgärten sind einen Besuch wert. Im Winter locken der traditionelle Jahrmarkt am Hafen oder die Hafenweihnacht alljährlich viele Gäste an.
Wie entwickelt sich die Bevölkerung in Lindau?
OB Dr. Gerhard Ecker: Durch interessante Unternehmen und die hervorragende Lage der Stadt haben wir dank neu geschaffener Wohnungen in den vergangenen Jahren einen erheblichen Bevölkerungszuwachs zu verzeichnen. Vor allem bei den Automobilzulieferbetrieben, aber auch bei anderen mittelständisch geprägten Unternehmen wie Dornier und Engie (ehemals Cofely) finden zahlreiche hochqualifizierte Mitarbeiter neue Arbeitsplätze.
Der Cavazzen, das Stadtmuseum im Herzen von Lindau, soll saniert werden. Wie verlaufen die Vorarbeiten?
OB Dr. Gerhard Ecker: Wir haben dank einer großzügigen Förderung durch den Bund und viele weitere Geldgeber die historische Chance, dieses vielleicht schönste barocke Bürgerhaus am Bodensee zu sanieren. Derzeit arbeiten wir intensiv an der Planung. Ich bin mir sicher, dass es uns gelingen wird, dieses für die Lindauer sehr bedeutende Bauwerk zu sanieren und dort zeitgemäß die spannende Geschichte Lindaus zu erzählen. 2017 präsentieren wir mit Paul Klee übrigens auch wieder einen Meister der klassischen Moderne im Cavazzen. Sein Leben ist eng mit dem Bodensee verbunden. So hat er unter anderem im Lindauer Hafen immer wieder das Schiff in die Schweiz bestiegen.
Die Stadt Lindau verfügt über viele historische Gebäude und Straßenzüge. Wie wichtig ist es, diese zu erhalten?
OB Dr. Gerhard Ecker: Sehr wichtig! Nur wer seine Vergangenheit kennt und bewahrt, ist auch in der Lage seine Zukunft zu gestalten. Es ist ein Geschenk, dass Lindau im Zweiten Weltkrieg von den Zerstörungen verschont blieb. Es wäre ein Frevel, dieses kulturelle Erbe nicht zu erhalten. Der Spagat zwischen notwendigen Neuerungen und Denkmalschutz verlangt dabei viel Sensibilität und eine ständige Abwägung. So haben wir beispielsweise einen Gestaltungsbeirat installiert, der Bauherren und Architekten berät.
Es befinden sich ja auch einige neue Projekte in der Pipeline, oder?
OB Dr. Gerhard Ecker: So ist es. Wir sind nicht nur Hüter der Vergangenheit, sondern auch eine dynamische Stadt, die mit den anstehenden Bauprojekten auf der Hinteren Insel, dem Bahngelände in Reutin oder dem ehemaligen Cofely-Areal große städteplanerische Aufgaben erfüllt und so auch dem gesteigerten Wohnungsbedarf Rechnung trägt. Im September 2017 wird die neue Inselhalle in Lindau eröffnet. Die Inselhalle wird ein modernes Tagungszentrum mit Tiefgarage in einer traumhaften Lage sein. Endlich können wir damit auch unseren einheimischen Vereinen und Unternehmen ein zeitgemäßes Raumprogramm bieten.
In der Inselhalle findet die alljährliche Tagung der Nobelpreisträger statt. Was schätzen Sie an dieser Veranstaltung?
OB Dr. Gerhard Ecker: Die Tagung der Nobelpreisträger hat internationale Strahlkraft und trägt den Namen Lindaus in die Welt. Doch dies ist für mich nicht der wichtigste Aspekt. Genau wie die Lindauer Psychotherapie-Tagungen ist sie eine Ur-Lindauer Erfindung. Es waren Lindauer, die beide Tagungen nach dem Zweiten Weltkrieg ins Leben riefen, um hier in der Grenzregion die Isolation Deutschlands in der Wissenschaftswelt zu beenden. Beide Tagungen gehören zum immateriellen Erbe dieser Stadt, das es zu bewahren und für die Zukunft zu sichern gilt.
Etwa vier Millionen Menschen werden mit dem Trinkwasser aus dem Bodensee versorgt. Trinkt Lindau auch Bodenseewasser?
OB Dr. Gerhard Ecker: Selbstverständlich, denn unsere Stadtwerke liefern das Trinkwasser aus dem Bodensee in herausragender Qualität. Wenn ich aus meinem Amtszimmer schaue, blicke ich auf den See. Und in der Karaffe auf meinem Schreibtisch ist immer Trinkwasser aus dem Bodensee.