Ein fast verhinderter Welterfolg Giuseppe Verdis „Rigoletto“-Premiere auf der Bregenzer Seebühne
Es ist ein ungeschriebenes Gesetz der Bregenzer Festspielmacher: Eine Oper am See braucht, um erfolgreich zu sein, zumindest einen großen Reißer. Eine Melodie, die jeder im Ohr hat, einen Gassenhauer. Eine wie „La donna è mobile“. Es gibt dreimal Pizza-Werbung, einmal Pralinen-Werbung, eine Reklame für Tomatensoße und sogar eine für ein Herren-Deodorant, die heute mit dieser Melodie auf dem Markt angepriesen werden. So populär kann Oper sein, in diesem Fall Giuseppe Verdis schaurig-schönes Meisterwerk „Rigoletto“, das in über 150 Jahren nichts von seiner weltweiten Anziehungskraft eingebüßt hat.
Text Prof. Fritz Jurmann Fotos Bregenzer Festspiele Lisa Mathis Illustration moodley industrial design gmbh Foto- und Textredaktion agenturengel Published nobleSee 09, 2019
Schon erstaunlich, dass bei den Bregenzer Festspielen in mehr als 70 Jahren noch nie jemand die Idee hatte, dieses Werk am See zu spielen. Da musste zuerst eine toughe Frau kommen mit dem Mut, der Kompetenz und Risikobereitschaft einer Elisabeth Sobotka. Nach den überaus erfolgreichen Blockbustern „Turandot“ und „Carmen“ am See verhalf sie in ihrem fünften Jahr als Intendantin in Bregenz mit gewohnt sicherem Händchen endlich dem hier so lange verkannten Verdi-Opus aus der Verbannung. Und dies gleich, wie in Bregenz üblich, im Doppelpack für die beiden Jahre 2019 und 2020.
Es war ja nicht so, dass man in Bregenz den italienischen Operngiganten in der Vergangenheit gänzlich von den höheren Weihen einer Seeproduktion ausgeschlossen hätte. Da gab es durchaus Werke von Giuseppe Verdi, von denen manche auf der Seebühne sogar Geschichte geschrieben haben: der unvergessene „Nabucco“ vor allem von 1993/94 mit dem „Gefangenenchor“ im Regen, ebenso „Ein Maskenball“ 1999/2000 mit dem schauerlichen Gerippe als Bühnen-skulptur, weniger „Der Troubadour“ von 2005/06, der in einer überdimensionalen statischen Ölraffinerie erstarrte, oder „Aida“ 2009/10 mit den schwindelerregenden knallgelben Kränen.
Der erahnte Erfolg
Die späte Entdeckung erstaunt auch umso mehr, als „Rigoletto“ natürlich weit mehr an guten Eigenschaften einer Oper für eine zündende Seeproduktion aufweisen kann als diese Kanzone eines Machos von der Wandelbarkeit der Frauen, die auch ein genaues Charakterbild des sinnenfreudigen Herzogs abgibt. Verdi ahnte, welcher Volltreffer ihm da gelungen war und hielt darum diese Melodie zunächst vor allen geheim. Er dachte sich: Die Melodie ist so einprägsam, dass sie sich während der Probenzeit unweigerlich durch Venedigs Gassen stehlen wird. Und wenn sie erst einmal die sangeslustigen Gondolieri in den Kanälen trällern, wird man bei der Premiere sagen, ihm sei nichts Eigenes eingefallen. Verdi hatte sich nicht getäuscht. Sein „Opernschlager“ schlug ein wie eine Bombe und hat seine Tragfähigkeit bis heute bewiesen.
Verdis „Rigoletto“ ist auch nicht irgendeine unter seinen über 30 Opern, sondern besitzt eine ganz besondere Bedeutung in der Operngeschichte. Mit diesem Werk leitete der Komponist nämlich das glorreiche Dreigestirn seiner Top-Opern ein, in dem „Der Troubadour“ und „La Traviata“ folgen sollten. Und so wurde, was niemand erwartet hatte, die Premiere von „Rigoletto“ an jenem denkwürdigen 11. März 1851 im berühmten Teatro La Fenice in Venedig nicht nur zum durchschlagenden Tageserfolg. Es war, wie sich bald zeigen sollte, auch ein Opernereignis von historischer Tragweite.
Wie das Leben so spielt
Verdi schlug mit besonderen stilistischen Elementen ein radikal neues Kapitel des Opernschaffens insgesamt auf und erreichte in der Orchesterbehandlung und vor allem mit der Charakterisierung seiner Bühnenfiguren eine neue Qualität. Verdi wuchs, an jenem Abend, damit vom national bejubelten Opernschöpfer zu einem von Weltruhm.
Handlungsvorlage ist ein handfester, schicksalhafter Opernthriller über Machtmissbrauch, Leidenschaft und Tod, der von den drei klassisch angelegten, gesanglich strapaziösen Hauptpartien lebt, die in Bregenz jeweils dreifach besetzt sind: dem lüsternen Herzog (Tenor), dem buckligen Hofnarr Rigoletto (Bariton) und dessen reizender Tochter Gilda (Sopran), die ein enges Beziehungsgeflecht untereinander verbindet. So wird Rigoletto ohne sein Wissen zum Mittäter bei der Entführung der eigenen Tochter. Die komplexe Handlung hält zudem einen gedungenen Mörder und ein verwechseltes Mordopfer bereit, an dem sich ein furchtbarer Fluch erfüllt.
Trotz Zensur zum Welterfolg
Genau diese Bühnenvorlage nach Victor Hugos Theaterstück „Le roi s’amuse“ aber hätte das Werk fast zum Scheitern gebracht, noch bevor es fertig komponiert war. Denn da gab es damals die gestrenge österreichische Zensur, die es „widerlich unmoralisch“ fand, dass ein gekröntes Haupt auf der Opernbühne sittlich verwerfliche Handlungen setzte, wie sie Rossini im Libretto von Francesco Maria Piave zunächst dem französischen König zugedacht hatte. So wandelte man den Schauplatz Paris in die Stadt Mantua, der König mutierte zum Herzog, statt des ursprünglichen Titels „La maledizione“ („Der Fluch“) wählte man den Namen der Hauptfigur „Rigoletto“ (französisch „rigolo“; lustig) und verlegte die Handlung ins 16. Jahrhundert. Damit wurden die Zensoren besänftigt, die alle übrigen Handlungselemente genehmigten. Und der fast verhinderte Welterfolg durfte sich von da an ungehindert verbreiten – bis heute.