Tatort Bodensee Die Seepolizisten aus Österreich, Deutschland und der Schweiz
365 Tage, rund um die Uhr, beschützen sie den See, das Ufer und alle Menschen, die ihn nützen, egal welcher Nationalität sie angehören. Die Bodensee Polizisten retten in Not geratene Kapitäne, suchen Badeopfer, sorgen für die Einhaltung der Gesetze und verfolgen Straftaten – von der nächtlichen Ausfahrt mit einem unbeleuchteten Kanu bis zum Kapital-verbrechen.
Text Irmgard Kramer Fotos Markus Gmeiner Foto- und Textredaktion agenturengel Published nobleSee 08, 2018
In der goldenen Oktobersonne liegen Bauch an Bauch zwei Schiffe nebeneinander im ruhigen Wasser: die Hohentwiel und das Boot der Seepolizei. Für die Hohentwiel ist es das letzte Wochenende der Saison. Heino Huber werkelt in der Kombüse. Obersteuermann Robert Kössler klettert aus dem Maschinenraum und grüßt Polizeiinspektor Andreas Horb und seinen Kollegen Wilfried Schneider. Ihre Saison ist nie zu Ende.
Alles Routine
Mit Funkgerät, Dienstwaffe, Pfefferspray, Reservemagazin und Handschellen steigen sie an Bord. Zusätzlich eine Automatikweste, die sich aufbläst, sobald sie feucht wird. Und neuerdings gibt es kurze Hosen. Natürlich in Polizeiuniformenblau. Während es im Sommer hier wimmelt von Wassersportlern, ist es jetzt ruhig. Sogar die Bootsbesitzer haben das Auswassern unterbrochen. Der Mond steht schlecht. Nur ein paar kleine Fischerboote kurven herum. Nebel steigt aus dem Wasser. Ein einsamer Segler und zwei abgehärtete Stand-up-Paddler tauchen darin auf. Eine rote Fischergondel tuckert entlang des Ufers. Das ist verboten. Die Polizisten setzen Kurs. Man winkt einander. Beinahe jeder kennt Andreas Horb. Einen bunten Hund nennt er sich scherzhaft. Weil er schon wieder im Fernsehen oder in der Zeitung war und Auskunft geben musste. Bis der Fischer „kontrollfertig“ ist, müssen Fender angebracht, Taue hin- und her geworfen, die Gondel festgezurrt werden. Der Hobby-Fischer ist vorbildlich ausgerüstet, hat vom Anker bis zur Zulassung alles dabei. Und in einem Eimer schwimmen Flussbarsche, auch Kretzer oder Egli genannt. Die bringt er am Mittag seiner Frau.
Unberechenbar
So harmlos läuft nicht jede Begegnung ab. Der See ist gefährlich. Seit Kriegsende zählt man jene, die nicht mehr aufgetaucht sind. 99 sind es bis Oktober 2017. Für die Angehörigen eine extreme Belastung. Selten taucht ein Leichnam auf. Auch dann rückt die Seepolizei aus. Nach einem Unglück im Jahr 1929 wurde erstmals öffentlich über eine Sondereinheit auf dem Wasser diskutiert. Teile des Sees waren zugefroren. In Hard machten sich drei Männer und fünf Buben mit Schlittschuhen auf den Weg nach Lindau. Eine Eisscholle brach ab. 29 Stunden mussten sie hilflos ausharren. Drei Buben erfroren. Ein Gedenkstein am Anlegeplatz erinnert daran. In den Jahren danach fuhren Gendarmen bei Notfällen mit ihren privaten Booten hinaus; bis 1950 endlich das erste Polizeiboot in Dienst gestellt wurde. Manche Boote gerieten an ihre Grenzen. Wie in einer der jährlichen Nacht-Regatten namens „RUND UM“. Anfangs dümpelten 500 Segelyachten bei Windstille über den spiegelglatten See in die untergehende Sonne. Plötzlich zog von Westen eine schwarze Wand auf und ein gewaltiger Sturm brach los. Wie an Silvester schossen über dem ganzen See rote Leuchtraketen in den Himmel: Seenot im Akkord. Alle Blaulichtorganisationen machten sich auf den Weg und kämpften mit den eigenen Dienstbooten, um die Menschen zu retten. Die Sache ging glimpflich aus. Aber extreme Unwetter mehren sich. Neue Boote mussten her.
Spezialanfertigung
Über die Grenzen hinweg konstruierte die Schiffbau- und Entwicklungsgesellschaft Tangermünde speziell für den östlichen Bodensee die Schwesterschiffe V-20 für Hard und die WSP-30 für Lindau. Die Wellenbildung ergab Schiffslänge und Schiffsbreite. Um die Boote steuern zu dürfen, braucht man das Schifferpatent und drei Jahre Ausbildung. Mit modernsten nautischen Geräten ausgestattet, fahren die 30 Tonnen schweren Aluboote 47 Kilometer pro Stunde. Verfolgen können sie damit nicht jeden. Zigarrenförmige Boote fahren an die 100 km/h. Auf dem offenen See sind maximal 40 km/h erlaubt. Verfolgungsjagden kommen ohnehin kaum vor. Überall gibt es ein Ufer. Und dort warten die Kollegen von der Landstreife. Sie haben es meist mit gestressten Menschen zu tun, die zur Arbeit müssen und Termine haben. Da nervt jede Kontrolle. Am See hingegen lässt man die Seele baumeln, trinkt ein Bierchen mit Freunden und lässt sich von einer Bootskontrolle kaum aus der Ruhe bringen. Viele sind sogar dankbar, wenn man sie aufklärt. Und von einem freundlichen Polizisten, wie Andreas Horb einer ist, der schon als Kind mit seinem Vater gesegelt ist und ein eigenes Boot hat, lässt man sich gern etwas sagen.
Kameras an Bord
Im Hitzesommer 2015 begleiteten jedes Wochenende mehrere Kamerateams die Polizisten aller drei Länder und drehten eine atemberaubende vierteilige Dokumentation mit dem Titel „Die Bodensee Polizei“. Spektakuläre Luftaufnahmen, Zeitraffer und der See in seinen schönsten Farben führen uns eindrücklich vor Augen, wie paradiesisch und gewaltig der Bodensee ist. Nein, man sieht nicht die Gärten aus „Game of Thrones“, sondern den Bodensee, und der ist echt. Die Geschichten sind spannender als jeder Tatort: Ein gekenterter Kajakfahrer. Kleider am Ufer. Wo ist der Mann, dem sie gehören? Eine Frau hat in einem Abschiedsbrief ihren Suizid angekündigt. Wird sie gefunden? Ein gestohlenes Motorrad im Wasser. Ein Heißluftballon soll auf dem See gelandet sein. Phosphorbomben aus dem Zweiten Weltkrieg müssen geborgen werden. Ein havariertes Motorboot quer auf dem Rheindamm, vom Skipper keine Spur. Ein heftiger Streit zwischen einem Berufsfischer und einem Bootsverleiher. Ein geflutetes Boot droht im Sturm an der Kaimauer zu zerschellen. Ein Schiffbrüchiger schreit um Hilfe. Elternlose Kinder treiben in einem Schlauchboot. Ein Mann überlebt nur, weil im vorbeifahrenden Segelboot zufällig ein Arzt ist. Andreas Horb versichert, dass keine Szene gestellt wurde. Wenn sich ein besonderer Einsatz ankündete, rief er an und das Kamerateam eilte an Bord. In jenem Hitzesommer starben 18 Menschen im Bodensee. Alle waren gute Schwimmer. Aber wenn das Herz plötzlich aussetzt, ist es zu spät. Andreas Horb rät, den See nicht zu unterschätzen, sich ausreichend abzukühlen, nicht mit vollem Magen und lieber in Ufernähe zu schwimmen.